Unbefriedigende Situation in der Schweiz

Regulär wird ein autistisches Vorschulkind in der Schweiz maximal 2-3 Stunden pro Woche heilpädagogisch, logopädisch u/o ergotherapeutisch gefördert. Autistische Kinder empfinden von sich aus kaum Lernmotivation oder natürliche Neugierde. Sie zeigen starke Defizite im Beobachtungslernen, was für gesunde Kinder in dieser Altersspanne die häufigste Art zu lernen darstellt. Durch dieses Fehlen von Imitieren des Verhaltens anderer Menschen bleibt autistischen Kindern etwas äusserst Zentrales vorenthalten, sodass wenige Wochenstunden keineswegs ausreichen, um dies zu kompensieren.

Stetige Beschäftigung des Kindes ist ohnehin von grosser Bedeutung, selbst wenn diese nicht aus therapeutischen Lektionen besteht. Anregungen zur Kommunikation und der Austausch mit der sozialen Umwelt sind unumgänglich, um dem Kind Freude an geteilten Erlebnissen zu vermitteln. Damit ist jegliche Interaktion gemeint, selbst wenn das Kind anfänglich keine oder kaum sichtbare Reaktion zeigt.

Zeitungsbericht Bieler Tagblatt

Porträt von Jonas und seiner ABA-Therapie im Bieler Tagblatt am 31.03.2017. Es war mir eine Freude, auch etwas zu diesem Artikel beizutragen.

TV-Beitrag über den autistischen Jonas

Mehr als zwei Jahre lang durfte ich Jonas' ABA-Therapie begleiten und es ist schön zu sehen, wie positiv er sich in dieser Zeit entwickelt hat. Die Familie wurde anlässlich des Welt-Autismus-Tages vom 2. April im Lokalsender Tele Bielingue portraitiert.

Fehlende Hilfe für Angehörige

Glücklicherweise finden Familien autistischer Kinder heute zunehmende Anzahl an Selbsthilfegruppen und Vereinen, die sich stark für Autisten und ihre Angehörigen einsetzen. Der Verein Autismus deutsche Schweiz nimmt eine sehr zentrale Rolle ein und hat in der Schweiz schon sehr viel für Autisten erreichen können.

Eltern von autistischen Kindern leiden häufig unter Erschöpfungszuständen, wenn sie sich täglich fast 24 Std. ihrem Kind gewidmet haben. Da Schlafstörungen und ein allgemein geringes Schlafbedürfnis bei autistischen Kindern keine Seltenheiten sind, leiden die Bezugspersonen in den meisten Fällen unter Schlafmangel, chronischer Überforderung und damit verbundenen Stimmungsschwankungen. Der Geduldsfaden der Eltern ist häufig arg strapaziert, da ein autistisches Kind je nach Art seiner Symptome sehr viel Aufmerksamkeit und ständige "Präsenz" der Familie erfordert.

Unterstützung durch Verwandte oder Freunde lässt meist zu wünschen übrig, da die Beeinträchtigung den sympathischen Kindern äusserlich kaum anzusehen ist. Eltern müssen sich von anderen Eltern (vermeintlich nett gemeinte) wiederholt Ratschläge für die Erziehung anhören. Nicht selten glauben Angehörige, das autistische Kind sei doch ganz "normal", sicher sei das Folge von elterlichen Fehlern (oder so ähnlich..).

Aussenstehende beurteilen natürlicherweise nur das, was sie selbst sehen. Oft werden Situationen vermieden, in denen stark auffälliges Verhalten des Kindes erwartet wird. Dies führt zu zunehmender Isolation und ein Teufelskreis ist entstanden.

Unzureichende Aufklärung der Gesellschaft

Daher denke ich, besteht ein weiterer verbesserungsbedürftiger Punkt in der Aufklärung der Bevölkerung über ASS. Sicherlich gibt es in der Schweiz einige sehr gute Selbsthilfegruppen und Elternvereine, die eine grosse Hilfe sein können. Doch es sollten auch Kontakte zu anderen Eltern von "normalen" Kindern möglich sein. Dies ist für die Eltern und das autistische Kind nur von Vorteil. Dafür braucht es aber Feinfühligkeit und Verständnis (nicht pures Mitleid!) seitens der Gesellschaft. Dann kann dauerhaft eine gewisse Sensibilität in der Gesellschaft für "anders" denkende Menschen erreicht werden. Und zwar allgemein, nicht nur für Autisten.

Um nochmals auf die "zunächst unsichtbare Behinderung" des Autismus zu sprechen zu kommen: Kinder mit Down Syndrom werden zwar von Gleichaltrigen genauso gehänselt wie verhaltensauffällige ASS-Kinder. Von Erwachsenen hingegen werden diese Kinder und ihre Eltern üblicherweise respektiert und toleriert. Die Eltern von Down Syndrom-Kindern werden insgeheim sogar bewundert und bestärkt in ihrem Umgang mit dem "schwierigen" Kind. Eltern autistischer Kinder hingegen erhalten mehrheitlich böse Blicke, Getuschel hinter ihrem Rücken oder sinnlose Ratschläge von vermeintlich besserwissenden Mitmenschen. Darin sehe ich Handlungsbedarf.

Späte Diagnosestellungen

Meines Erachtens sollte -  gerade in den ersten 3 Lebensjahren -  Wert auf eine frühzeitige Erkennung der Problematik sowie entsprechend frühe Intervention, gelegt werden. Die häufigsten Ansprechpersonen für die genannte Altersgruppe stellen in der Schweiz die Kinderärzte dar, wobei diese in der Praxis leider häufig überfordert sind. Zu viele Ärzte raten hilfesuchenden Eltern zu Geduld. Kinderärzte und Allgemeinpraktiker müssen vermehrt über autistische Störungen aufgeklärt werden und es sollte eine frühzeitige Intervention betont werden.

Gemäss einer Elternumfrage (mit etwa 200 Auswertungen) aus dem Jahr 2001 von H.-C. Steinhausen mit Unterstützung von Autismus Schweiz wurde festgestellt, dass die Diagnosestellung nur bei einem Drittel der Befragten innerhalb der wünschenswerten ersten 36 Lebensmonate gestellt wurde. Ein weiterer Drittel der Kinder erhielt die Diagnose zwischen 3 und 6 Jahren. Ebenfalls negativ ist die hohe Anzahl aufgesuchter Fachstellen bis zur schliesslichen Diagnose aufgefallen, 8% mussten sogar 7 oder mehr Fachleute kontaktieren, bis sie endgültig wussten, was ihrem Kind fehlte.

Kinder mit einer Asperger Symptomatik fallen in vielen Fällen sogar erst in der Grundschule auf und erhalten die Diagnose teilweise jenseits des siebten oder achten Lebensjahres. Bis dahin sind leider bereits wichtige, prägende Jahre vergangen, die bei einer früheren Erfassung mit Förderungen hätten genutzt werden können.