Rückblick und wie alles begann...

Unser Sohn war bereits im ersten Lebensjahr sehr anstrengend. Er benötigte nur wenig Schlaf und gönnte uns selten eine Pause, da er sich keine Minute selbständig beschäftigen konnte. Er wollte dauernd herumgetragen werden, jedoch nur von uns abgewandt. Häufig war es nicht möglich ihn zu beruhigen, er schrie ohne Grund und drückte sich auf dem Arm von uns weg, als ob er den Kontakt zu uns hasste. Ich hatte Versagensgefühle als Mutter und fühlte mich von meinem eigenen Kind abgelehnt. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt spürte ich, dass mit ihm etwas nicht ganz stimmte. Der Kinderarzt beruhigte mich jedoch immer wieder, es sei alles bestens und unser Sohn entwickle sich prächtig.

Er war zwar ein charmantes Kind, teilweise aber auch abwesend in seiner eigenen Welt und er suchte kaum Trost, wenn er sich weh getan hatte. Körperlich und sprachlich entwickelte er sich jedoch normal und ich war daher stets die einzige Person, die das ungute Gefühl nicht los wurde, dass unser Sohn irgendwie anders sei. Aufgrund meines medizinisch-psychologischen Vorwissens redete ich mir ein, ich sei einfach überängstlich. Genauso betrachtete mich wohl auch der Kinderarzt und meinte bei jedem Besuch, das reguliere sich alles von selbst.

Die Lage spitzte sich zu, als unser Sohn panische Angst vor anderen Kindern entwickelte und ich nicht einmal mehr mit ihm einkaufen gehen konnte. Abermals suchte ich die Schuld bei mir. Sein Hauptinteresse bestand darin mit unserem Staubsauger zu spielen. Zudem faszinierten ihn pendelnde Dinge, wie z.B. hängende Kleiderbügel. Genauso faszinierend war für ihn das Element Wasser, sei es direkt aus dem Wasserhahn, fliessend im Bach, als Dampf beim Kochen oder als Tau im Morgennebel. Regelrecht fixiert war er auf solche visuellen Stimulationen, er konnte sich kaum mehr davon lösen, wenn er neben der einlaufenden Badewanne stand und das fliessende Wasser betrachtete. Er begann wild zu hüpfen und der Zugang zu ihm war in solchen Momenten nur noch schwer möglich.

Zunahme der Symptome

Als unser Junge 2 Jahre alt wurde, zogen wir aufs Land, was zu unserem Erstaunen für ihn kein Problem darstellte (ansonsten waren Veränderungen für ihn stets problematisch). Unser Familienleben schien entspannter und beruhigte sich etwas. Leider hielt die Ruhe nicht lange an, denn die Angstzustände unseres Sohnes nahmen immer drastischer zu, sogar erwachsene Leute machten ihm nun Angst, selbst bei Bekannten ergriff er die Flucht.

Kurz vor dem 3. Geburtstag unseres Sohnes kam unsere Tochter zur Welt. Unser Sohn reagierte stark verängstigt, als er seine Schwester im Spital besuchen kam. Sobald sie auch nur den leisesten Ton von sich gegeben hatte, begann er zu weinen. Wir waren verzweifelt, er schien uns derart verstört, wir glaubten, wir hätten ihm etwas sehr Schlimmes angetan.

Glücklicherweise war unsere Tochter von Anfang an ein Sonnenschein-Baby, sie schrie anfangs zwar auch viel, aber es waren starke Unterschiede im Vergleich zu ihrem Bruder zu erkennen. Sie genoss Körperkontakt, suchte unseren Blick und lächelte uns oft an.

Mit 3 Jahren zeigte unser Junge noch immer keine selbständigen Rollenspiele, bezeichnete sich selbst nach wie vor mit "du" und er verweigerte komplett den Zugang zu seiner Schwester, sodass ich aus eigener Initiative die Autismusberatungsstelle aufsuchte. Verschiedene Fachpersonen konnten dort eindeutig die Diagnose Autismus stellen. Mein Mann wollte es zuerst nicht wahrhaben, dennoch waren wir irgendwie erleichtert, endlich zu wissen, was mit unserem Kind nicht in Ordnung ist. Endlich zu merken, dass wir nicht schuld an seiner abweisenden und manchmal rüppelhaft anmutenden Art haben.

Entscheid für die Therapie

Umgehend informierte ich mich in sämtlichen verfügbaren Fachbüchern, sowie im Internet über Therapiemöglichkeiten für Autismus. Einstimmig stiess ich immer wieder auf die ABA-Therapie, welche uns auch die Autismusberatungsstelle empfohlen hat.

Es begann der administrative Kampf mit den Behörden, etliche Briefe an IV und Krankenkasse folgten. Wie erwartet wurde die Kostenübernahme überall abgelehnt. Wir waren gezwungen, nach anderen Möglichkeiten für die Finanzierung dieser teuren Förderung zu suchen. Mit viel Geduld und Durchhaltevermögen gelang es uns, Monat für Monat, mit Hilfe verschiedener Spender, für die anfallenden Kosten aufzukommen. Dafür möchten wir uns von Herzen bedanken bei all denjenigen Menschen und Organisationen, die uns darin tatkräftig unterstützen, und unserem Kind damit solche imposanten Fortschritte ermöglicht haben.

Ich begann Bücher über ABA zu wälzen, verbrachte Nächte lang in amerikanischen ABA-Foren und saugte sämtliche Infos über die Verhaltenstherapie auf. Wir konnten im November des gleichen Jahres mit der ABA-Therapie starten. Die Suche und Auswahl der engültigen Therapeutinnen war mit viel Aufwand verbunden, aber nach 3 Wochen etlicher Vorstellungsgespräche, konnten wir uns definitiv für drei Frauen entscheiden und hatten das Team komplett. Die Abklärungsgespräche mit der Supervisorin konnten wir ebenfalls innert nützlicher Frist vornehmen, wobei sie uns auch bei der Beschaffung des benötigten Materials (v.a. Bildkarten) behilflich gewesen ist. Den Start-Workshop führten wir im November 2005 durch. In der folgenden Woche konnten unsere Co-Therapeutinnen bereits selbständig mit der Arbeit beginnen.

Der Hauptteil der Therapie bestand bei unserem Sohn aus verhaltenstherapeutischen Interventionen und behavioristischen Lernteilen (ABA) wobei interaktions-basierte Elemente von Anfang an einbezogen wurden. Im fortgeschrittenen Programm konnten deshalb vermehrt Techniken von RDI und Flooretime eingeflochten werden. Wir versuchten mit Hilfe von verschiedenen Therapiegrundlagen ein möglichst ganzheitliches Konzept aufzustellen. Ausgangslage waren ziemlich unterschiedliche Formen der Förderung, wobei ich versucht habe, möglichst viele Vorteile jedes Ansatzes in ein in sich geschlossenes Programm einzubauen, das unseren Sohn optimal unterstützen sollte. Für die Strukturierung des Alltags und unseres Familien-Ablaufs fügten wir im Laufe der Zeit viele Elemente aus dem TEACCH-Ansatz hinzu.

Grosse Entwicklungsfortschritte

Die Entlastung unserer Anspannung in der Familie wurde bald spürbar, unsere Wut auf die Situation wurde merklich weniger, da ich als Mutter auch endlich Zeit für unsere Tochter erhielt und nach der Therapie wieder Energie für unseren Sohn vorrätig hatte. Schliesslich gelang es unserem Sohn dank der Therapie sogar neben seiner Schwester zu spielen und er tolerierte sogar, wenn sie auch einmal mit seinen Spielsachen spielen wollte. Er lernte sich selbst zu beruhigen, wenn seine Schwester weinte. Zudem wurde er fröhlicher, genoss die Therapiestunden und hatte eine sehr enge Beziehung zu allen Therapeutinnen.

Nach einem Jahr Therapie konnten wir unseren Sohn im Nachbardorf bereits halbtage-weise in den regulären Kindergarten bringen. Er ging sehr gern dort hin und seine Kameraden mochten ihn.

Schliesslich besuchte unser Sohn mit teilweiser Begleitung einer unserer Therapeutinnen den Regelkindergarten an unserem Wohnort und ging die ersten 5 Jahre in die reguläre Primarschule. Die letzten vier obligatorischen Schuljahre verbrachte er in einer Schule mit Kleinklassen-Unterricht. Er fuhr jeden Tag selbständig mit dem Zug in die Schule, schrieb gute Noten und wurde von seinen Mitschülern akzeptiert. Ein zuvor nicht denkbares Szenario.

Seinem Berufswunsch Informatiker versucht er mit einem Vorbereitungsjahr etwas näher zu kommen. Die Pubertät bringt natürlich neue Schwierigkeiten, doch wir bleiben zuversichtlich und hoffen, dass sein zukünftiger Weg weiterhin positiv verlaufen wird.

Wir sind uns sicher, dass die Durchführung der Therapie die beste Entscheidung für unseren Sohn gewesen ist.